Diäten hält er für Gewalt und essen soll man, worauf man Lust hat
. Im Interview zerlegt der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer den Glauben an die eine, gesunde Ernährung
.Hört er Ernährungsratschläge, nimmt Udo Pollmer sofort Reißaus.
Frage: Herr
Pollmer, ihrer Ansicht nach sind die drei folgenden Aussagen kompletter Unfug:
Vitamin C hilft bei Erkältungen, Salz ist ungesund und der Verzehr
von Obst und Gemüse beugt Krebserkrankungen vor. Ist das Verhältnis
zu Ihrem Hausarzt soweit okay?
Udo Pollmer: Zu
welchem Hausarzt? (muss kräftig lachen) Mein Haus braucht keinen
Arzt und mir geht’s gut.
Frage: Sie
sind der Meinung, dass wir glücklicher, gesünder und genussvoller
leben könnten, wenn wir uns von der Vorstellung verabschieden
würden, es gäbe die
gesunde Ernährung für
alle, und Sie rufen zum Boykott der meisten Statistiken auf ...
Pollmer: ...
nicht zum Boykott, ich will ja nur, dass die Statistiken richtig
gemacht werden. Statistik ist eigentlich ein wunderbares
Instrument, um Zusammenhänge sichtbar zu machen, um dann mit den
Mitteln der Forschung den Ursachen
auf den Grund zu gehen. In der
Ernährungswissenschaft wird in einem kaum vorstellbaren Maße
getürkt. Gerade hat John Ioannidis, ein namhafter Biostatistiker
aus Harvard, mal Hunderte von Studien zum Thema Krebsgefahr
beziehungsweise Krebsschutz durch Nahrungsmittel analysiert.
Ergebnis:
so wertvoll wie ein gebrauchtes Kondom. Wir brauchen im
Grunde nichts von dem zu glauben, was uns erzählt wird.
Frage: Demnach
könnte ich jetzt theoretisch im Dorf anrufen und eine Schlachtplatte
plus eine Kiste Bier kommen lassen, ohne mir eine Rüge von Ihnen
einzuhandeln?
Pollmer: Warum
sollte ich das rügen? Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Und
die Neigungen der Individuen sind naturgemäß unterschiedlich. Je
nachdem aus welchem Teil der Welt sie kommen, haben die Menschen
unterschiedliche Vorstellungen von Ernährung. Eine traditionelle
Eskimomahlzeit, wohlgemerkt eine Mahlzeit und nicht die Tagesration,
sind locker fünf Kilo Robbenspeck. In den Tropen ist wiederum der
Anteil
der pflanzlichen Kost größer, einfach weil man leichter an
nahrhafte Früchte kommt wie Bananen, Avocados, Kokosnüsse. Dass man
sich in einem süddeutschen Dorf mit Appetit über Fleisch und Wurst
hermacht, war dort eine biologische Notwendigkeit, einfach deshalb,
weil sich das Voralpenland klimatisch für Weidewirtschaft und nicht
für Ananaszucht eignet. Ich krieg' hier regelmäßig Anrufe von
FachjournalistInnen, die ein Statement von mir wollen, nach dem Motto
der Vegetarier sei der klügs
te Zweibeiner überhaupt. Die ganzen
Ernährungsbeiträge kommen doch mit der Attitüde daher "Wer
sich vegetarisch ernährt, ist etwas Besseres als die ganzen
Arschlöcher die einer normalen Arbeit nachgehen und dafür Power
brauchen". Wir sind
allerdings erwiesenermaßen Säugetiere, also ist die
Wahrscheinlichkeit groß, dass wir das, was wir zum Leben benötigen,
in schmackhaften Säugetieren vorfinden. Zumindest erheblich größer,
als dass wir es in einer Staude am Wegesrand antreffen.
Frage: Sie
weisen in einem Ihrer Bücher auf
die Monica-Studie der WHO
hin.
In dieser Studie erreichten männliche Teilnehmer die höchste
Lebenserwartung, wenn sie täglich den alkoholischen Gegenwert einer
halben Flasche Wein verputzt haben. Erst bei einer ganzen Flasche –
im medizinischen Sinne also bereits als Säufer – erreichten sie
dieselbe (relativ) frühe Sterblichkeit wie Abstinenzler. In
Frankreich könnte man mit so einer Aussage Staatspräsident werden.
Hier ist sie mir in ihrem Buch zum ersten Mal begegnet. Gibt es bei
uns so etwas wie eine Lobby der Spaßbremsen?
Pollmer: Ja.
Ich glaube, das hängt mit unserer protestantischen Vergangenheit
zusammen. Es wird hinter jeder Freude eine schlimme Versuchung
gesehen. Aus dieser Ecke kommen viele der aktuellen Warnungen. Es ist
egal, was die Leute essen oder trinken, aber sobald sie dabei
Vergnügen empfinden, ist es natürlich ungesund. Es ist noch nie
etwas als gesund bezeichnet
worden, was die meisten Menschen gerne essen. Und noch
nie etwas,
was die meisten nicht leiden können und ungesund
wäre. Allein an der Tatsache,
dass Kinder Brokkoli nicht mögen, wird erkannt, dass das gesund fürs
Kind sein muss. Und sobald Kinder etwas kollektiv mögen, zum
Beispiel Pizza, ist sie des Teufels. Diese verlogene Logik zielt
darauf ab, die Menschen zu destabilisieren und ihnen Schuldgefühle
anzuhängen. Der Appetit als moderne Erbsünde
der Evolution. Schuld ist ein
böses Geschäft.
Frage: Schuld?
Pollmer: Der
Körper fordert ein, was er braucht. Wäre es anders, gäbe es keine
erfolgreiche Evolution. Und dieses Gefühl, das uns der Appetit
vermittelt, ist so stark, dass es sich gegen den Kopf über kurz oder
lang durchsetzt. Jede junge Frau, die eine fettarme Abnehmdiät
macht, weiß, dass bei nahender Regel der gute Vorsatz in sich
zusammenfällt. Dann wird eine Familienpackung Eiscreme verdrückt,
damit die Fettbilanz wieder stimmt. Mit ein bisschen Grips würden
die Menschen daraus lernen, dass Fett lebensnotwendig ist. Sie würden
bei gehöriger Anspannung ihres Verstandes bemerken, dass der
Körper durch die fettarme Philosophie nicht schlank, sondern immer
dicker wird. Aber sie wollen immer wieder mit dem Kopf durch die
Gummiwand.
Frage: Was
veranlasst die Ernährungsexperten, kollektiv fettarme Kost zu
verordnen?
Pollmer: Die
Boshaftigkeit ist eine wesentliche Triebkraft. Wir haben bei keiner
Ernährungsempfehlung, die die letzten dreißig Jahre verbreitet
worden ist, einen belastbaren wissenschaftlichen Nachweis von
irgendeinem wie auch immer gearteten Nettonutzen. Ernährungsberatung ist nebenbei bemerkt ein Treiben, das sich nur sehr bedingt an
Männer wendet. Wenn Sie einem Mann sagen, er soll am Tag drei Liter
trinken, hat es nicht denselben pädagogischen Wert, wie wenn man es
zu einer Frau sagt. Der Mann kommt am Abend aus der Kneipe und sagt
"Alles klar Schatz, hab die drei Liter getrunken!", dann
ist das Thema für ihn durch. Die Ernährungsberatung wird von Frauen
ausgeübt und dient dazu, namentlich Frauen zu destabilisieren, ja
sie fertigzumachen. Es ist Gewalt von Frauen gegen Frauen.
Frage: Sie
reden von vorsätzlicher Destabilisierung? Welchen Sinn soll die
haben?
Pollmer: Angefangen
hat der Ernährungsberatungswahn mit dem Ziel, den Damen zu erklären,
sie müssten magerer werden, weil sie dann schöner seien . Jetzt
sehen wir aber seit fünfzig Jahren auf der ganzen Welt, dass sie
davon nur fetter werden. Gibt es nicht ein gutes Gefühl,
Konkurrentinnen zu eliminieren, indem ich ihnen einen Rat gebe, der
sie unansehnlicher macht? Für den Fall aber, dass es tatsächlich
zu einem Abschmelzen ihrer
Fettpolster kommt, sind
fatalerweise die Reservefette der Frau als Erstes dran. Die
Reservefette befinden sich in ihrem Busen und dem Po. Und es gibt
offenbar nichts Erhebenderes, als wenn bei der Konkurrentin Busen und
Po schlappmachen. Außerdem wissen die Urheber dieser Ratschläge
sehr genau, dass man, wenn man sich fett- und kalorienarm ernährt,
ziemlich bald unausstehlich wird. Hunger ist eine der stärksten
Kräfte, um die Menschen reizbar zu machen. Damit kann man das
Sozialsystem der betroffenen Frauen ruinieren.
Frage: Fänden
unsere Kinder das Prinzip Pizza abscheulich, schreiben Sie, dann
würde man sie ihnen zwangsverabreichen?
Pollmer: Genau!
Dann gäb’s Schulungen! Die Ernährungspäpste würden Kochkurse
fordern, um den Wert der Pizza zu preisen: wertvolles Getreide, das
gute Olivenöl, der Käse mit seinem für die Knochen wichtigen
Kalzium, es würde doziert, wie vorteilhaft die verschiedenen Beläge
sind, Ananas, Gemüse, Sardellen, oder auch ein bisschen Schinken.
Aber nein, die Kinder stehen auf Pizza, also ist sie des Teufels.
So
entstehen viele Ammenmärchen. Woher kommt zum Beispiel die Idee,
dass Salz gefährlich ist? Wer mit Land- oder Forstwirtschaft zu tun
hat, weiß, dass die Tiere mit Salzlecksteinen besser gedeihen und
gesünder sind. Der Hang zum Salz ist uns allen angeboren, viele
Wildtiere unternehmen dafür lange Wanderungen, offenbar lohnt der
große Aufwand. Man kann auch nicht zu viel davon erwischen, weil
jeder Salzüberschuss zu Durst führt, um es schnell wieder
auszuschwemmen. Das Salzlecken verschafft, weil es biologisch
sinnvoll ist, Befriedigung. Genau das war Anlass zu sagen, "Oh
Gott, eine Verlockung des Teufels". Einer
der namhaften Täter auf diesem Gebiet war der Arzt und
Gesundheitsapostel Bircher-Benner . Der hat damals, zusammen mit
Kollegen in der Schweiz, dort, wo die Calvinisten und Zwinglianer ihr
Unwesen trieben, versucht, den Teufel aufzustöbern. Wenn man den in
flagranti erwischt und austreibt, bleibt die Menschheit gesund.
Irgendwann hat Bircher-Benner mit Kollegen Tabak gegen Salz
getestet. Da hat er doch glatt herausgefunden, dass man auf Salz
weniger leicht verzichten kann als auf Tabak. Das will was heißen,
denn Bircher-Benner war Kettenraucher. Aus dieser Erfahrung hat er
dann geschlossen, dass Salz ein schlimmeres Teufelswerk sein muss
als Tabak. Dann hat er zur Untermauerung seine These noch geschaut,
ob es ein Völkchen gibt, das ohne Salz auskommt. Das fand er in der
Arktis. Die Eskimos fischen ihr Essen aus dem Salzwasser, die
brauchen keinen Salzstreuer. Er hätte das Salz auch gegen das Atmen
testen können, dann hätte er herausgefunden, dass Atmen noch eine
viel gefährlichere Verlockung ist, weil der Verzicht aufs Atmen noch
schwerer fällt als das Mümmeln salzloser Kost.
Frage: Millionen
von Frühstückseiern atmen jetzt dankbar auf. Und ein paar Millionen
Leser interessieren sich bestimmt für eine andere These von ihnen:
Ein gesunder Erwachsener mit Übergewicht, der von seinem Hausarzt
den Rat bekommt, mit einer Diät dagegen anzugehen, darf ihm den
Vogel zeigen und einen Eisbecher essen gehen?
Pollmer: Auf
Wunsch gern mit Sahne. Übergewicht
ist ein dubioser Begriff, so wie
Überintelligenz. Wenn
ich Körperhöhe und Körpergewicht ins Verhältnis setze , um mit
einer beliebigen Formel eine Zahl zu generieren, um auf einer Skala
von fünfzehn bis fünfzig die gesundheitliche Zukunft eines Menschen
vorauszusagen, bin ich entweder bescheuert oder skrupellos. Auf jeden
Fall befinde ich mich jenseits des wissenschaftlichen Weltbildes. Der
BMI ist etwa so, wie wenn ich versuchen würde, aus Schädelumfang
und Körpergröße den Intelligenzquotienten einer
Ernährungsberaterin zu berechnen. Alle gesunden Menschen über
dreißig haben einen erhöhten BMI, und das gehört zur biologischen
Entwicklung, zum Älterwerden. Das Körpergewicht hat herzlich wenig
mit den Essgewohnheiten zu tun. Das ist eine der magischen
Vorstellungen unserer Gesellschaft.
Frage: Das
ist Ihr Ernst?
Pollmer: Zunächst:
Wir brauchen die meiste Energie nicht für die Bewegung, sondern fürs
Heizen. Der Mensch ist bekanntlich siebenunddreißig Grad warm. Ein
System Tag und Nacht auf dieser Temperatur
zu halten, kostet
verdammt viel Energie. Deshalb essen wir. Kalorien sind nicht umsonst
eine Energieeinheit für Wärme. Wenn jemand schlaksig ist, mit wenig
Unterhautfettgewebe, also auch schlecht isoliert, dann hat der
natürlich hohe Wärmeverluste und damit einen hohen Energiebedarf.
Der muss den ganzen Tag futtern, damit er heizen kann.
Wenn
jetzt einer auf die komische Idee kommt, eine Diät zu machen, dann
kompensiert der Körper den Energiemangel, indem er die Wärmeabgabe
vermindert. Das heißt, er bremst die Durchblutung der Extremitäten.
Das Ergebnis sind kalte Füße und kalte Hände, Arme und Beine. So
gleicht der Körper das, was beim Essen gespart wurde, mehr als aus
und kann nun die Überschüsse nutzen, um die Isolation zu
verbessern. Da wir hier in einer kalten Region leben, muss vor allem
der Bauch gut isoliert werden, denn darinnen befinden sich die
Organe. Vor allem Menschen, die zur Korpulenz neigen, also Pykniker,
können diesen Speck recht schnell anlegen. Der Hagere kann das
nicht. Er kann mal geringfügig etwas zulegen, aber wenn er unter
Druck gerät, dann nimmt er wieder ab. Der Korpulente nimmt unter
Druck zu. Und wenn er mal loslässt, zum Beispiel einen entspannten
Urlaub macht, dann nimmt er ab, egal, wie viel er isst.
Frage: Wie
erklärt sich das?
Pollmer: Es
gibt mehrere Regulationssysteme. Eines davon ist das Cortisol, ein
Stresshormon. Wenn jemand das dem Cortisol praktisch identische
Cortison zu sich nimmt, bekommt er einen fetten Bauch und riskiert
Diabetes, Herzinfarkt, kaputte Gelenke und ähnliche
Folgeerkrankungen. Wenn ich nun ständig unter Druck bin, dann habe
ich auch diese erhöhte Cortisolproduktion, und das ist der Grund,
weswegen gerade mit dem Bauchspeck verschiedene Krankheiten wie zum
Beispiel Infarkt korrelieren. Das heißt aber nicht, dass sie vom
Speck herrühren, das ist Unsinn, sondern weil alles eine gemeinsame
Ursache hat: Ärger, Wut, Verzweiflung.
Um
diese aberwitzigen Ideen zum Übergewicht ein wenig zu relativieren:
Wenn jemand Fieber hat, dann sagen wir ja auch nicht: Du hast
Übertemperatur, deswegen haben wir schon den Kühlraum frei gemacht.
Damit würden wir ihn umbringen. Nein, der Fiebernde wird untersucht und
bekommt dann, zum Beispiel, die Diagnose Lungenentzündung.
Die wird spezifisch behandelt. Auch stark Übergewichtige brauchen
keine Diät sondern eine Differenzialdiagnose.
Frage: Sie
haben die Empfehlung der Ernährungsberater geprüft, man solle
fünfmal am Tag eine Portion Obst oder Gemüse essen. Ihr Ergebnis:
Die Empfehlung sei so essenziell für ein gesundes Leben wie die
Behauptung: "Wer fünfmal
am Tag in eine Bratwurst beißt, ist vor Geschlechtskrankheiten
geschützt." Der
einzige Effekt solcher Behauptungen sei, dass die Menschen weiter
essen wie bisher, allerdings mit schlechtem Gewissen. Hört man auch
da die Empfehlung heraus, auf solcherlei Ratschläge einfach nicht
mehr zu hören?
Pollmer: Ja.
Viele Menschen essen mit schlechtem Gewissen, ja mit Angst. Immer
mehr versuchen, ihrem eigenen Appetit Mores zu lehren in der
Hoffnung, mit einem längeren Leben belohnt zu werden. Nach Beginn
der Fünf-am-Tag-Kampagne hat es nur vier bis sechs Wochen gedauert
und die Praxen der Gastroenterologen füllten sich mit den Opfern
dieser Empfehlung. Auch als sie davon krank wurden, hatten sie nicht
genügend Arsch im Schlüpfer zu sagen, okay, dann verzichte ich
wieder darauf. Auch hier trifft es primär die Frauen. Viele machen
es dann erst recht, weil sie glauben, die Beschwerden lägen an der
mangelnden Konsequenz. Solange das Ärzte mit sich selbst machen (was
sie natürlich nicht tun), ist mir das wurscht. Aber wir zerstören
mit solchen Kampagnen systematisch die seelische und körperliche
Integrität von vor allem jungen Frauen und Kindern.
Damit
wir uns recht verstehen: Ich hab nichts dagegen, wenn man Ratschläge
erteilt. Ein solches Treiben setzt aber voraus, dass man sich vorher
der Frage gestellt hat, können die Ratschläge auch schaden, was
sind die Nebenwirkungen und wie groß sind die Erfolgsaussichten? Es
sind unglaubliche Dinge am Start: Die Deutschen haben sich zwanzig
Jahre lang erzählen lassen, Kaffee sei ein Flüssigkeitsräuber . Um
das zu glauben, muss man aber wirklich schon den passenden
Geisteszustand mitbringen. Mit einer polnischen Putzfrau klappt das
nicht. Die weiß, wenn sie Kaffee trinken will , muss sie vorher
Wasser aufsetzen. Und wenn die Kanne leer ist, dann hat sie eine Kanne Wasser getrunken. Wenn ihr dann Gesundheitsexperten erzählen, sie
hätte sich gerade Flüssigkeit geklaut, dann zweifelt sie am
Verstand ihres Gegenübers. Abgesehen davon gehen pauschal erteilte
Ratschläge immer ins Auge. Der Stoffwechsel der Menschen
unterscheidet sich, wir sind genetisch viel unterschiedlicher, als
viele glauben.
Frage: Haben
Sie ein Beispiel?
Pollmer: Viele
Mütter versuchen ihren Kindern Obst einzuflößen. Das eine Kind
freut sich über saure Beeren im Jogurt und will das jeden Tag. Das
andere isst höchstens eine halbe Banane pro Woche. Die eine Mutter
ist begeistert über ihr kluges Kind, die andere verzweifelt, weil
das Gör nicht hören will. Das ganze Obst-Theater könnten die sich
ersparen, wenn sie, anstatt sich grenzwertige Gesundheitssendungen
anzukucken, mal ihre eigene Birne
einschalten würden. Das Verhältnis eines Kindes zu Obst hängt
primär mit seiner Magensäure zusammen. Ein Kind, das sehr wenig
Säure produziert, braucht die sauren Sachen, um in der Frühe in
Schwung
zu kommen. Und einem Kind, das viel Magensäure produziert,
würde dieses Beerenzeug ein Loch in den Magen brennen, es lehnt das
Zeug also vollkommen zu Recht ab. Ein Bundesverband der Schuster
verfügt doch auch über genügend Fachwissen und
Verantwortungsgefühl, um uns nicht mit dem Ratschlag zu kommen, wir
sollten alle Schuhgröße zweiunddreißig oder so tragen. Denn man
habe festgestellt, dass diese Schuhgröße mit einer besseren
Fußgesundheit korreliert als Größe fünfundvierzig.
Frage: Sie
sagen, jemand, der seine Ernährung ausschließlich der
vermeintlichen Gesunderhaltung des Körpers widmet, handelt genauso
lebensfeindlich wie jemand, der Sex nur aus orthopädischer Sicht
betreibt und darauf achtet, seine Wirbelsäule zu entlasten. Diese
Formulierung wollte ich nicht hinterfragen, sondern abschließend nur
ausdrücklich dazu gratulieren.
Pollmer (lacht):
Ja. Es ist schon fatal, mit welcher Konsequenz die Menschen sich
aufgrund falscher Ratschläge ihr Leben kaputt machen. Und im Grunde
einfach nur zum Heulen.
Hans Kantereit