1. Langweilen Sie ihre Leser nicht mit Fakten. Schreiben Sie einfach: „Und dabei werden die Strompreise immer günstiger.“ Oder: „Im Süden liegt das soziale Korrektiv des Kontinents. Und wenn schon die Deutschen linke Politik verlernt haben, im Süden beherrscht man sie noch.“ Nun sinken die Strompreise ja nicht wirklich, im Gegenteil, sie steigen.
Und wenn es linke Politik ist, ein Vierteil bis die Hälfte der jungen
Generation vom Arbeitsmarkt auszuschließen und eine privilegierte
Staatskaste zu hätscheln, dann müssten Sie den Begriff „links“
eigentlich schnell noch umdefinieren. In Wirklichkeit
können Sie den Begriff natürlich nach Belieben gebrauchen, so wie Sie
auch souverän festlegen, ob ein Preis gerade fällt oder steigt. Wenn Sie wirklich läuseknackerisch Daten und Fakten zusammenklauben wollten, dann wären Sie ja Journalist.
Im Zweifel berufen Sie sich darauf, dass alles in Politik und Wirtschaft irgendwie miteinander verbunden ist, wenn auch nicht unbedingt räumlich, zeitlich oder kausal. Denken Sie also beim Schreiben immer an die Worte des Fußballers Dettmar Cramer: „Alles hängt mit allem zusammen. Sie können sich am Hintern ein Haar ausreißen, dann tränt das Auge.“
2. Unterstellen Sie Ihren Gegnern lieber einen schlechten Charakter, als ihm falsche Ansichten nachzuweisen. Über zwei von Ihnen nicht geschätzten Journalisten schreiben Sie am besten so: „Die alten Ideologie und die wirtschaftlichen Interessen haben lautstarke Verteidiger. So wie die Journalisten Dirk Maxeiner und Michael Miersch. ...Das ist Auftragsjournalismus im Interesse der Wirtschaft, und das Umweltbundesamt hatte Recht, diese Form von Lobby-Journalismus bloßzustellen.“
Nun kann jemand ja noch so sehr alten Ideologien nachhängen, Auftragsjournalismus von früh bis spät betreiben und trotzdem zutreffende Dinge schreiben. Unzutreffende Darstellungen müsste man aber mühsam aufspüren und nachweisen, unter Umständen sogar durch Beschäftigung mit Fachliteratur. Deshalb gestaltet es sich einfach effizienter, die Welt säuberlich in gut und schlecht aufzuteilen. Töricht ist dieses Verfahren nur, wenn es von einem amerikanischen Neokonservativen angewendet wird.
Und von der Praxis, Behauptungen („Auftragsjournalismus“) zu belegen,
sollten Sie im eigenen Interesse unbedingt die Finger lassen. Denn Belege könnten sich als schwach oder gar falsch herausstellen. Urteile aber bleiben immer Urteile.
3. Sie müssen nicht immer alles aussprechen.
Große Texte entstehen gerade durch Andeutungen. Wenn Sie zum Beispiel
schreiben: „Gaza ist ein Ort aus der Endzeit des Menschlichen… Ein
Lager“, in dem Menschen „zusammengepfercht“ hausen, dann stellen sich
die richtigen Assoziationen schon von selbst her, ohne dass Sie dazu das
Wort Auschwitz in den Mund nehmen müssten. Geben Sie
Ihrem Leser auch das Gefühl, dass er sich nicht schämen muss, wenn er
Sie richtig versteht: „Früher war es eine Schande, für einen Antisemiten
gehalten zu werden. Inzwischen muss man solchen Vorwurf nicht mehr ernst nehmen.“
4. Schreiben Sie lauter Hammersätze.
Zum Beispiel: „Angetrieben vom billigen Geld der internationalen
Finanzmärkte kapert die deutsche Exportindustrie die europäische
Integration – und Merkel lässt sie gewähren.“ Es kommt
nicht so sehr auf die Frage an, wie eine Exportindustrie etwas
Abstraktes wie eine Integration kapern kann, ganz abgesehen von der
Frage, was Merkel Ihrer Ansicht nach eigentlich tun sollte, um der
Exportindustrie, der europäischen Integration oder beidem in den Arm zu
fallen. Es geht eher um das Prinzip eines Gitarrenriffs: „Billiges Geld“, „internationale Finanzmärkte“, „Merkel“. Die Leser - zumindest Ihre Leser – wollen es so. Rocksongs werden schließlich auch und gerade von Leuten mitgeheadbangt, die den Text nicht verstehen.
5.
Ein bisschen Perfidie schadet nie. Stellen Sie beispielsweise über
Daniel Cohn-Bendit und seine pädosexuelle Passage in „Der große Basar“
fest: „Es gibt - bislang – auch kein „Opfer“, das sich von Cohn-Bendit
irgendwie geschädigt fühlen würde.“ Damit ist klar:
sollte sich doch noch jemand melden, der sich an eine sexuell Szene in
dem Kinderladen erinnern kann, dann wäre diese Person von vorn herein
nur ein Opfer in Anführungszeichen.
Oder: Sie schreiben beispielsweise über den Hersteller des
Mohammed-Films von 2012: „Kann man sich vorstellen, dass der kriminelle
Kopte ...in einem anderen als im eigenen Auftrag handelte?“ Schon in der Überschrift geben Sie die Richtung vor: „Wem nützt die Gewalt?...Wer profitiert davon? Zumindest versuchen die US-Republikaner und Israelis Kapital aus der Situation zu schlagen.“
Wenn Sie dann die eine oder andere Zuschrift bekommen, in der Sie
persönlich angegriffen werden, dann stellen Sie sie stolz an den Anfang
Ihrer nächsten Kolumne: „Augstein, du bist und bleibst eine
antisemitische Dreckschleuder. PS: Immer schön aufpassen, wenn du über die Straße gehst.“
Mit dem Zitieren dieser hart erarbeiteten anonymen Hassmail machen Sie
Ihre Bedeutung klar, die sonst vielleicht nicht jeder erkennen würde.
6. Publizieren Sie nur dort, wo sich interne Kritik an Ihren Texten schon durch die Eigentumsverhältnisse erledigt. Wer – außer Jakob Augstein selbst – kennt nicht die Not eines Schreibers, der fremden Verlagshäusern seine Gedanken anbietet?
Da kann der Text zu lang sein, zu hölzern, zu witzig, zu schlecht, dem
Ressortleiter passt ihre Gesinnung oder ganz einfach ihre Nase nicht,
und schon landet Ihr Werk in dem kleinen zylinderförmigen Sonderarchiv
rechts unten auf dem Bildschirm. Von diesem Risiko müssen Sie sich systematisch befreien. Denn Sie haben der Welt etwas mitzuteilen. Und außerdem die nötigen finanziellen Mittel durch eine großzügige Erbschaft. Publizieren Sie auf der Internetseite eines Magazins, das Ihnen durch günstige Umstände mitgehört. Kaufen Sie sich außerdem eine eigene Zeitung, die ohne Ihr Engagement schon längst untergegangen wäre.
Mit einem Bekenntnisblatt für eine kleine, aber treue Gemeinde kann man
auf die Dauer durchaus ein kleines Vermögen machen, vorausgesetzt, man
besitzt am Anfang ein großes. Jedenfalls, beherzigen
Sie gerade in Hinblick auf ihre publizistische Tätigkeit den Rat von
Paul Watzlawick, dass man in der Wahl seiner Eltern nicht vorsichtig
genug sein kann.
Sollten Sie nach
Prüfung Ihrer familiären Verhältnisse feststellen, dass Sie doch die
falschen Eltern beziehungsweise Väter haben, dann müssten Sie sich
Medienpräsenz und die Aura der kompetenzunabhängigen Zuständigkeit
leider hart erarbeiten, möglicherweise durch einen Sündenfall, der Ihnen
nicht zu früh in Ihrer Karriere unterlaufen sollte, andererseits auch
nicht zu spät. Einzelheiten hierzu entnehmen Sie bitte dem Kurzratgeber: „Wie werde ich Margot Käßmann?“.