Manchmal erhalten kleine Begebenheiten Symbolkraft, weil sie zufällig mit größeren zusammenfallen. So erhielt Mitte Januar der Homöopath Wolfgang Springer das Bundesverdienstkreuz und der Chemiekonzern BASF verlagerte seine Gentechnik-Sparte nach Amerika. Die Parallelität beider Ereignisse zeigt, woher der Wind weht. Wissenschaftler emigrieren, Scharlatane bekommen Orden vom Bundespräsidenten.
In der Laudatio auf der offiziellen Website der bayerischen Landesregierung, die für die Verleihung zuständig war, heißt es, Springers Organisation, die Hahnemann-Gesellschaft, habe sich zum Ziel gesetzt, „die Homöopathie zum Wohle der Patienten als moderne und zeitgemäße Medizinrichtung voranzubringen.“ Wären Laudatoren der Wahrheit verpflichtet, müsste der Satz etwas so heißen: Mit Homöopathie werden leichtgläubige Kranke hinters Licht geführt, indem man ihnen Zuckerkügelchen als Medizin andreht. Und dafür gibt’s in Deutschland Orden.
Ein BASF-Sprecher begründete den Rückzug seiner Firma damit, dass es für die grüne Gentechnik, die „Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts“, bei der Mehrheit der Verbraucher und Politiker keine Akzeptanz gäbe. Einige Tage später demonstrierten mehrere Tausend Menschen in Berlin gegen grüne Gentechnik und für mehr Biolandbau. Auf der Kundgebung vor dem Kanzleramt hielt die Fernsehköchin Sarah Wiener eine Ansprache. „Wir haben diese ständigen Lebensmittelskandale satt,“ rief sie der Menge zu, „es ist höchste Zeit, dass endlich grundlegende Konsequenzen daraus gezogen werden. Wir müssen weg von der Agrarindustrie, hin zu einer bäuerlichen und nachhaltigen Landwirtschaft.”
Wie ist das möglich, nachdem vor nicht einmal einem Jahr verseuchte Bio-Sprossen aus einer Bio-Gärtnerei die größte Lebensmittelkatastrophe seit Bestehen der Bundesrepublik auslösten? Der Keim in dem nach Bio-Richtlinien erzeugten Gemüse infizierte über 4000 Menschen, von denen 53 starben. Über 800 schwebten In Lebensgefahr. Sie wurden durch Intensivmedizin gerettet, nicht durch homöopathische Zuckerkügelchen. Wie tickt ein Land, das angesichts eines solchen Desasters den technischen Fortschritt in Landwirtschaft und Medizin für das größte Unheil hält? Offenbar glauben sehr viele Menschen an eine Zukunft, in der Biobauern die Bevölkerung ernähren und Homöopathen die Kranken heilen. Mal sehen, wie lange die verbliebenen Wissenschafter und Industriebetriebe noch geduldet werden? Vielleicht schafft sich Deutschland ja ganz anders ab, als Thilo Sarrazin vermutet.
Maxeiner und Miersch
Erschienen in DIE WELT am 27.01.2012