Darf man „Neger“ sagen? Oder singen? Diese Frage wurde beim Deutschen Kinderlied-Kongress in Hamburg aufgeworfen, zu dem es schon im Vorfeld einen Kinderliederwettbewerb zum Thema „Toleranz“ gab. Ich sollte dazu auch einen kleinen „Impuls“ geben. Er durfte, wie mir versichert wurde, getrost ein wenig scharf sein – wie Löwensenf, den man dazugibt. Das habe ich gerne getan. Ich hatte mir dazu den Artikel „Dünkel und Empörung“ aus der Süddeutschen Zeitung von Andrian Kreye ausgedruckt und mich, wie Tarzan von Liane zu Liane schwingend, von Zitat zu Zitat durch den Text hindurchgehangelt. Gleich zu Anfang heißt es da:
„Nun könnte man die drei Diskurse (gemeint sind die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse über Antisemitismus, Sexismus und Rassismus) jeden für sich mit einer einfachen Grundregel der Höflichkeit beiseitefegen: Es geht nie darum, wie man Ressentiments definiert, sondern wie sie empfunden werden.“
Sorry: Das ist zu einfach. Die Liane reißt. Die Empfindungen eines anderen, die ich erst erahnen muss, kann ich nicht für mich zum Maßstab machen. Ich kenne doch die Empfindungen nicht. Ich würde, wenn ich mich nach der Kreye-Formel richten wollte, nicht die tatsächlichen Empfindungen des anderen zur Leitlinie meines Verhaltens machen, sondern meine Vorurteile und Mutmaßungen, die ich über seine Empfindungen habe. Ich müsste außerdem glauben, dass es echte und nicht nur behauptete Gefühle sind. Deshalb finde ich die „einfache Grundregel“ einfach nur falsch: Ich kann mich nicht danach richten, weil mir die Empfindungen anderer fremd sind. Und obendrein sollte – und will – ich mich auch nicht danach richten, weil es doch nur „Empfindungen“ sind.
Schließlich mache ich ja meinerseits meine eigenen Empfindungen auch nicht zum Maßstab für andere. Höflichkeit besteht gerade in der Kontrolle von Gefühlen und im sozialverträglichen Umgang damit. Sonst könnte ich sagen: „Ich empfinde das so, und basta – soll die Welt doch sehen, wie sie damit klarkommt“. Das tue ich nicht. Wie hieß es so schön im Kindergarten (kategorischer Imperativ für Anfänger): „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Kann ich dann nicht genauso gut sagen: „Ich will mich nicht nach Maßstäben richten, die ich anderen auch nicht zumuten würde?“
Nach Empfindungen kann ich mich sowieso nicht richten. Gefühle schwanken, und sie fallen sehr unterschiedlich aus. Meine eigenen, und die der anderen höchstwahrscheinlich auch. Der eine fühlt so, der andere anders, der dritte gar nicht. Gefühle unterliegen nicht der Kausalität und stehen nicht in so einem primitiven Ursache-Wirkungs-Verhältnis, wie es hier nahegelegt wird. Sie können aus den rätselhaftesten Gründen entstanden sein und Ursachen haben, die nie vollständig erforscht werden. Man sollte ihnen keinesfalls vertrauen – wie heißt es bei Leonard Cohen: „I don’t trust my inner feelings, inner feelings come and go“. Nicht alles, was vorgetäuscht wird, ist ein Orgasmus. Es können in mehrfacher Hinsicht falsche Gefühle im Spiel sein. Christa Wolf hat betont, dass man „falsche Empfindungen“ auch „hätscheln“ kann.
Als „Grundregel der Höflichkeit“ eignet sich der Vorschlag von Andrian Kreye schon deshalb nicht, weil er im Passiv steht. Wer sind die handelnden Personen? Für wen gilt die Regel? Wer soll sich danach richten? Etwa alle? Das tun sie aber nicht, und das müsste Herrn Kreye eigentlich auch schon aufgefallen sein. Wenn ich als Mann so über Frauen reden würde, wie es Lady Bitch Ray lautstark und selbstbewusst über Männer tut, dann wäre das nicht nur unhöflich, sondern womöglich strafbar. Und wenn jemand, den ich nicht „Neger“ nennen soll, sich selbst und andere gleicher Hautfarbe so nennt – was dann?
Dann findet eine Wer-Was-Verwechslung statt. Dann geht es nicht mehr darum, was gesagt wird, sondern wer es tut. Damit werden aber die Empfindungen, mit denen die Grundregel argumentiert, fragwürdig und büßen ihre Allgemeingültigkeit ein. Wenn die Bezeichnung „Schlampe“ nur dann beleidigend ist, wenn ein Mann sie ausspricht, und das Wort „Neger“ nur dann, wenn es von einem Weißen kommt, dann tun wir so, als könnte „friendly fire“ nicht genauso tödlich sein wie „unfriendly fire“, und als wäre eine Verletzung, die sich ein Fußballer zugezogen hat, keine richtige Verletzung, wenn es ein Spieler der eigenen Mannschaft war, der sie ihm beigebracht hat.
So entsteht ein Zwei-Klassen-System, und als weißer Mann der westlichen Welt muss ich mir anhören, wie andere zu mir sagen: „Ich darf etwas, das du nicht darfst – ätsch, bätsch! Ich darf sagen, was ich will; du nicht. Meine Empfindungen sind für dich verbindlich, deine für mich nicht.“ Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache. Ist das wirklich so gewollt? Will uns Andrian Kreye mit seiner „einfachen Grundregel der Höflichkeit“ tatsächlich solche Zustände schmackhaft machen? Wenn das die Lösung sein soll, dann möchte ich lieber wieder das Problem haben.
Der Preis der Beleidigung
Das Problem ist, „wie man Ressentiments definiert“. Ja, wie? Man kann immerhin versuchen, die Ausdrücke, die von anderen als herabsetzend, beleidigend und demütigend empfunden werden könnten, zu meiden. Das tun wir sowieso. Wir sind höflich. Wir geben uns jedenfalls Mühe. Es ist keineswegs so, dass wir plötzlich alle von Unhöflichkeits-Attacken heimgesucht werden und dringend jemanden bräuchten, der uns einfache Höflichkeitsregeln an die Hand gibt. Doch wir sind natürlich nicht perfekt, und wenn wir uns daneben benehmen, dann wird das bestraft.
Ich denke da an den Bußgeldkatalog, der Beleidigungen definiert und mit gestaffelten Preisen versieht. Da kann man nachlesen, wie teuer es wird, einen Polizisten als „Sie Hornochse“ zu bezeichnen und was es im Unterschied dazu kostet, ihn „Du Hornochse“ zu nennen. Da weiß man, was man hat und wie viel es kostet. Das wusste der Mann, der eintausend Euro Strafe für die Benutzung des Wortes „Muselmann“ zahlen musste, vermutlich nicht vorher. Hätte er es wissen müssen? Wissen können?
Brian O’Gott (Künstlername), ein Gigant der Kleinkunst, ist bekannt für feine Musik und grobe Scherze. Er tritt mit der Klamauk-Gruppe „Jazz Polizei“ auf, die in falschen Polizeiuniformen echten Jazz spielt. Brian erklärt dem Publikum, dass Polizisten neuerdings der Strategie der Deeskalation folgen und sich nicht mehr zu Überreaktionen hinreißen lassen. Das wollen sie demonstrieren. Deshalb gibt er den Anwesenden die Anweisung, möglichst laut auf sein Zeichen hin „Scheiß Bullen!“ zu rufen (in Berlin kommt die Nummer besser an als anderswo). Dann kann das Publikum mit eigenen Augen sehen, wie die beschimpften Polizisten die Schmähungen über sich ergehen lassen. Man erkennt, dass sie mit sich kämpfen müssen. Aber sie beherrschen sich, meiden Gefühlsausbrüche und lassen sich sogar zu einem milden Lächeln hinreißen.
Den Witz dabei versteht jedes Kind. Kinder wissen, dass „Scheiße“ ein „böses Wort“ ist, und dass man es nicht sagen soll. Klarer Fall. Sie finden Scheiße selber ekelhaft und wollen nicht damit in Verbindung gebracht werden. Manche Kinder haben allerdings eine Phase, in der sie das böse Wort, gerade weil es „böse“ ist, so oft wie möglich unterbringen. Wenn sie – wenig später – etwas älter werden, aber weiterhin in dieser kindlichen Problem-Phase stecken, können sie der Piraten-Partei beitreten und da bei jeder Gelegenheit von „sexistischer Kackscheiße“ reden – und immer mal wieder einen Scheiße-Sturm (shitstorm) entfachen.
„Scheiß Bullen!“, so können wir vermuten, ist eine Äußerung, die einen doppelten Beleidigungs-Wirkstoff enthält und im Bußgeldkatalog ganz weit oben rangiert. Wegen der „Scheiße“. Und wegen der „Bullen“. Das ist ein Tiervergleich. Tiervergleiche können zwar liebevoll gemeint und gerade bei Kindern sehr beliebt sein („Bärchen“, „Hasilein“ ...), da kommt es ganz auf das Tier an, aber wir können uns schon darauf einigen, dass Tiervergleiche als Beleidigung gelten und von der „Schlange“ bis zum „Komodowaran“ viele Möglichkeiten bereithalten. Der „Bulle“, der zum selben Preis wie der „Hornochse“ gehandelt wird, hat nur einen einzigen Beleidigungs-Wirkstoff und ist im Vergleich zum „Scheiß Bullen“ nur halb so schlimm und entsprechend billiger. Gänzlich kostenfrei dagegen ist die Bezeichnung „Polizist“. Oder?
Wie ist es beim „Neger“? „Scheiß Neger“ oder „Scheiß Affe“, da sind wir uns einig, gehen gar nicht, wegen der „Scheiße“. Der „Scheiß Affe“ ist so teuer wie der „Scheiß Bulle“. Der einfache „Affe“ ohne „Scheiße“ fällt unter Tiervergleiche und liegt in derselben Preisklasse wie der „Bulle“ und der „Hornochse“. Als strafbar sehe ich außerdem den „Bimbo“ sowie das „Brikett“ an, weil man hier eine beleidigende Absicht voraussetzen darf, auch wenn beides keine Tiervergleiche sind und ich mir noch keine Gedanken gemacht habe, wie teuer solche Äußerungen werden sollten. Kostenfrei ist der „Neger“. Oder?
Wo ist da der Beleidigungs-Wirkstoff? Was ist am „Neger“ schlimm oder böse? Die Geschichte der Sklaverei? Ist das unsere Geschichte? Hatten wir nicht eine eigene, die schlimm genug war? Ist der einfache „Polizist“ nicht viel stärker belastet? Bekanntlich war es Joseph Goebbels, der die Parole „Die Polizei, dein Freund und Helfer“ erfand. Kann man angesichts der Gräuel des Nationalsozialismus und der Rolle, die gerade die Polizei dabei spielte, so ein Wort weiterhin unbefangen benutzen? Werden damit nicht die Opfer verhöhnt? Und was ist mit den Polizistinnen? „Die Polizei, deine Freundin und dein Freund, deine Helferin und dein Helfer“?
Wie sieht das der Autor aus der Süddeutschen? Ich vermute, dass er meiner Vorstellung, dass der Gebrauch des Wortes „Neger“ kostenfrei sein sollte, nicht zustimmen würde. Ich zitiere weiter und überlege anschließend, was damit gesagt sein soll:
„Hinter dem Streit um die rassistischen Wörter in Kinderbuchklassikern steht der Widerwille, mit dem Demografiewandel Deutschlands umzugehen. Immerhin sind inzwischen schon 20 Prozent aller Bewohner nicht mehr deutscher Herkunft. Otfried Preußlers ‚Die kleine Hexe’ ist da Synonym für eine innere Leitkultur, die nicht auf Veränderungen reagieren will.“
Gleich zweimal ist da vom „Willen“ die Rede, zunächst vom „Widerwillen“, und dann „will“ da jemand etwas nicht. Was will er nicht? Er will nicht reagieren. Wer ist dieser jemand? Zwar ist es diesmal kein Passivsatz, aber es bleibt schon wieder rätselhaft, wer die handelnden Personen sein sollen. Falls es überhaupt Personen sein sollen. Ist es vielleicht ein „etwas“, das wie eine einzige Person gesehen wird? Ich habe noch mehr Fragen: Gibt es diese „innere Leitkultur“ überhaupt? Und wenn ja, kann man bei so einem Dingsbums von einem „Willen“ sprechen? Von einem Willen wohlgemerkt? Ist die innere Leitkultur gleichgeschaltet und spricht nur mit einer einzigen Stimme? Es scheint so. Kreye stellt uns die innere Leitkultur als ein störrisches Subjekt vor, das zwar etwas tun könnte, aber nicht tun will. Er sieht diese innere Leitkultur als ein einheitliches Ganzes, so wie man im kalten Krieg den Ostblock als ein Ganzes gesehen hat, als einen einzigen Betonklotz. Haben wir so etwas?
Diese innere Leitkultur schmeckt mir gar nicht. Eine „innere“ Leitkultur? Gibt es noch eine „äußere“? Wie auch immer: diese „Leitkultur“ ist ein Käsewurstwort, bei dem die Geschmäcker nicht zusammenpassen. Je mehr man den ersten Teil des zusammengesetzten Wortes , also „Leit-“, herausschmeckt, desto weniger passt er zum zweiten Teil, zur „Kultur“. Man sollte schon unterscheiden können zwischen Literatur und Gebrauchsanweisungen. Nehmen wir als Beispiel, das gut zu unserem Thema passt, den Leitfaden zur Umsetzung einer geschlechtergerechten Sprache von der Universität Hildesheim, in dem uns „passivische Formulierungen“ empfohlen werden (statt „besteht ein Student die Prüfung nicht ...“ sollen wir sagen: „wird die Prüfung nicht bestanden ...“). Das ist „Leit-“, aber keine „Kultur“. Es gibt inzwischen viele solcher Leitfäden, die mit der Autorität der aktuellen Gesetzgebung auftreten, und es gibt bereits Fälle, bei denen das Nichtbefolgen solcher Vorschriften bestraft wird.
„Sprache ist ein Herrschaftsinstrument.“ Mit solchen klaren Worten wird die neue Fassung des Tiroler Landesgesetzes, die neuerdings in die „weibliche Form“ umgeschrieben wurde, begründet. Frauen sollen damit „sichtbar gemacht werden“. Da juckt es mich schon, anzumerken, dass ein Wort kein Bild ist, und dass es nicht die Aufgabe der Sprache ist, etwas „sichtbar“ zu machen. Doch es geht um mehr. Mit der Durchsetzung der „geschlechtergerechten Sprache“ wird ein Gehirnwäsche-Programm gestartet, das uns in einem der Waschgänge dazu bringen will, im Passiv-Modus zu sprechen und zu denken. Es ist ein verdeckter Angriff der – von mir – so genannten Passivisten, mit dem unsere Vorstellungen von Schuld und Unschuld, vom Opfer- und Täter-Status umgekrempelt werden sollen. Wenn wir uns ein Bild über die aktuelle Gesinnungslage machen wollen, sollten wir einen aufmerksamen Blick auf solche, neu erschienenen Leitfäden richten und nicht auf Kinderbücher, die schon vor langer Zeit erschienen sind.
Preußler und andere Kinderbuchautoren sind weit davon entfernt, Vorschriften zu machen und Sprache als Herrschaftsinstrument zu nutzen. Das gehört nicht zu den Aufgaben, Intentionen und Möglichkeiten eines Autors. Ein Autor macht, wie Bertolt Brecht gesagt hat, lediglich Vorschläge. So ist „Kultur“. Sie will nicht leiten. Nicht bevormunden. Literatur setzt die Freiheit des Lesers voraus. Angefangen bei der Freiheit, ein Buch zu ignorieren, hin zu der Freiheit, sich ein eigenes Urteil über die Helden eines Buches zu bilden. Ein gutes Buch wirkt so, wie man es in einem alten Werbeslogan über eine Seife gesagt hat, die auf jeder Haut einen anderen Duft entfaltet. Der liebe Leser denkt selber. Er kann ein Buch mögen oder ablehnen. Wie er will.
Rassisten dringend gesucht!
Ich mache hier eine kleine Bedenkpause, weil das Wort „Rassismus“ als Schreckgespenst im Raum herumspukt. Mit dem Zitat von Andrian Kreye wurde es eingeschleppt. Wenn wir die Diskussion darüber ernst nehmen, sollten wir den Vorwurf nicht vorschnell verpulvern, aber auch nicht einfach übergehen. Es gehört zu den einfachsten Grundregeln der Höflichkeit, anderen keine unberechtigten Vorwürfe zu machen und andere nicht zu verurteilen, wenn sie schuldlos sind. Mit Anwürfen, die eine starke gesellschaftliche Ächtung enthalten, sollten wir besonders achtsam umgehen. Also: Sehen wir hin. Wer ist hier der aktive Rassist?
Otfried Preußler ist es nicht!!! Das will ich festhalten und mit drei Ausrufezeichen versehen. Er ist kein rassistischer Autor. Er wäre es selbst dann nicht, wenn er in einem seiner Bücher einer rassistisch denkenden Figur einen Auftritt ermöglicht hätte (was er, soviel ich weiß, nicht getan hat). Ein Autor ist mit einem Anwalt vergleichbar, der versucht, seinen Mandanten – seinen Protagonisten – in ein möglichst gutes Licht zu tauchen und um Verständnis für ihn zu werben. Er wird dann schon merken, wie seine Darstellung beim Richter – beim Leser – ankommt. Autoren und Anwälte sind selber keine Richter, und sie sitzen auch nicht auf der Anklagebank. Wenn ein Mandant verurteilt wird, ist sein Anwalt nicht mitschuldig. Wenn eine Figur aus einem Roman unmoralisch handelt, dann ist der Autor deswegen nicht unmoralisch.
Es gibt im Fall von Otfried Preußler auch keine rassistische Leserschaft. Man kann den unzähligen Kindern, die seine Bücher gelesen haben, nicht unterstellen, dass sie die Mentalität von unbelehrbaren Kolonialherren gehabt hätten, die sich schon die Finger nach einer Lektüre leckten, die ihre rassistische Grundhaltung bestätigen würde. Noch mal die Frage: Wer ist der Rassist, wenn sowohl der Autor als auch der Leser vom Rassismus-Vorwurf freigesprochen sind? Wie lautete das Zitat? Da war vom Streit um „rassistische Wörter“ die Rede. Sind es die Wörter? Können die Wörter selber rassistisch sein?
In einer Bibliothek war die Lesung gerade beendet, und die Kinder durften sich noch auf eigene Faust ein wenig umgucken. Plötzlich ertönte ein Aufschrei: „Iiih, nackte Bücher!“ Kinder dürfen so reden. Bei Erwachsenen sollten wir anspruchsvoller sein und Differenzierungen erwarten, die heute allerdings zunehmend vernachlässigt werden. Die Bücher selber sind nicht „nackt“. Ein Kochbuch ist nicht „lecker“, auch nicht wenn es mit Pflaumenmus serviert wird. Die Sprache selber – diesen Hinweis richte ich speziell an die evangelische Kirche – ist weder „gerecht“ noch „ungerecht“. Das bürgerliche Gesetzbuch ist nicht in „gerechter“ Sprache geschrieben, die Bibel nicht in „gläubiger“. Eine Wohnung ist weder „konspirativ“, noch ist sie „unvorsichtig“ oder „naiv“. Und wie ist es mit „rassistischen Wörtern“?
So viele werden es schon nicht sein. Es geht wieder mal um den „Neger“ – oder? Eine Frage: Wenn es „rassistische Wörter“ gibt, gibt es dann auch „faschistische“, „kommunistische“, „kapitalistische“, „neo-liberale“, „feministische“ oder „anti-feministische“? Sollten wir uns in Zukunft sicherheitshalber nur noch pantomimisch verständigen? Oder sollten wir stets mit zwei Fingern eine kleine Bewegung machen, die bedeuten soll, dass man sich alles, was wir sagen, in Anführungsstrichen denken soll?
Manchmal habe ich den Eindruck, dass so mancher, der bei dieser Gelegenheit von Hate Speech spricht, nur den Titel des Buches von Judith Butler kennt und nicht bis zu der Stelle vorgedrungen ist, an der sie sich gegen Sprachvorschriften ausspricht. Und warum tut sie das? Weil sich die Bewertung, die mit einem Begriff einhergeht, im Laufe der Zeit ändert und aus so manchem Wort, das einst als Beschimpfung angefangen hat, inzwischen eine Ehrenbezeichnung geworden ist.
Zurück in die Zukunft
Damit sind wir bei einem wichtigen Punkt, und ich bin bei einem üblen Verdacht angekommen. Der wichtige Punkt ist der Faktor Zeit, der sich schon vorsichtig in dem Wort „Veränderungen“ zu erkennen gegeben hat. Mein Verdacht ist, dass die Damen und Herren vom inoffiziellen „Deutschen Wächterrat“, die sich eine Änderung der Kinderklassiker wie Die kleine Hexe wünschen, womöglich Science-Fiction-Romane, in denen Zeitmaschinen vorkamen, gelesen und nicht richtig verstanden haben. Sie leben in einer ewigen Gegenwart, in der es keine Vergangenheit und keine Zukunft gibt.
Ich wiederhole, um das deutlich zu machen, einen Teil des Kreye-Zitats – ein Musterbeispiel von einem Satz, der vorne und hinten nicht stimmt. Mit dem Subjekt vorne stimmt etwas nicht, und mit dem Verb hinten auch nicht.
„Otfried Preußlers ‚Die kleine Hexe’ ist da Synonym für eine innere Leitkultur, die nicht auf Veränderungen reagieren will.“
Falsch. Otfried Preußlers Die kleine Hexe ist nicht „Synonym“ für eine „innere Leitkultur“; es handelt sich vielmehr um ein Kinderbuch, das mit den Ansprüchen einer Leitkultur nicht vereinbar ist. Soviel zum Anfang des Satzes. Nun geht es weiter. Diese Leitkultur (zu der Preußler nicht gehört), „will“ nicht auf Veränderungen reagieren.
Wieder falsch. Es sind sogar zwei Fehler: „können“ und „wollen“ werden falsch gebraucht – eine typische Fehlleistung, die entsteht, wenn passivisch gedacht wird und unklar bleibt, wer die handelnde Person ist, und was die überhaupt kann und was sie eventuell will.
Der zweite Fehler liegt im falschen Umgang mit der zeitlichen Reihenfolge. Richtig müsste es heißen: Eine Leitkultur kann nicht rückwirkend auf Veränderungen reagieren. Wie denn auch? Die verschiedenen Veränderungen, die der demographische Wandel mit sich bringt, werden sich schon noch auswirken – allerdings erst in naher Zukunft. Unsere Kultur, soweit sie schon da ist, kann sich daran nicht anpassen, weil man sie nicht nachträglich ändern kann. Zukünftig können wir einen „Negerkuss“ „Schaumkuss“ nennen und die „Zigeuner-Sauce“ „Puszta-Sauce“, wenn wir das unbedingt wollen, aber wir können nichts dagegen machen, dass es früher anders hieß.
Wir werden den „Neger“ sowieso nicht mehr los. Der bleibt. Wenn man ihn bei einer Neuauflage der Kinderbuchklassiker entfernt, dann steht er immer noch in den alten Auflagen, die man nicht vollständig vernichten kann – oder nur unter großem Aufwand. Außerdem hat sich der „Neger“ nicht nur in den Büchern von Preußler oder Lindgren versteckt. Er steht auch bei Kant – und in Wörterbüchern. Soll man ihn da auch tilgen? Außerdem gibt es ihn fest verankert in unserem Denken und in unseren Erinnerungen und lässt sich da nicht mehr löschen, auch nicht, wenn wir verpflichtet würden, Tipp-Ex zu essen – was auch nicht helfen würde. Wir kriegen ihn nicht mehr weg, ohne Spuren zu hinterlassen, die auf ihn verweisen. Wenn man einen Ort von der Landkarte tilgen wollte, müsste man auch alle Hinweisschilder aus dem gesamten Umkreis entfernen.
So gesehen waren die Säuberungs-Aktionen unter Stalin konsequent. Wenn da jemand aufgefordert wurde, zehn Personen zu denunzieren, die ins Lager sollten, dann war der Denunziant selber – ohne dass er es wusste – die Nummer elf auf der Liste. So säubert man richtig. Wer die Löschung des Negers aus Kinderbüchern fordert, müsste gleichzeitig die Löschung der Diskussion um das Thema fordern, weil die Diskussion um das Thema sonst zum neuen Aufbewahrungsort des „Negers“ wird. Hier zeigt sich spätestens, dass der ganze „Streit um die rassistischen Wörter in Kinderbuchklassikern“ einfach nur Banane ist.
Ich habe einen Lieblingsversprecher: Einmal wurde in den Spätnachrichten von einer Karibikinsel berichtet, bei der nach einem „gescheiterten Putzversuch“ wieder Ruhe eingekehrt sei. So sollte man auch das Ansinnen, „Neger“ nachträglich so zu behandeln, als wären sie nie erwähnt worden, als gescheiterten Säuberungsversuch ansehen und wieder Ruhe einkehren lassen.
Zurück zur Gegenwart. Zurück zu den Zeitreisenden, die auf der Stelle treten und in einer Endlosschleife von Gegenwart leben, in der Vergangenheit und Zukunft zusammenfallen. Ihre Empfindungen sind unglaubwürdig. Wenn es jemals Beleidigungen oder Äußerungen von Ressentiment gewesen sein sollten, die sie beklagen, dann wären die verjährt. Haben Frauen jetzt erst gemerkt, dass die Muttersprache eine „Männersprache“ ist, von der sie diskriminiert werden? Wann sind die Bücher von Preußler und Lindgren erschienen? Hat sich damals ein Neger beklagt?
Heute tut er es auch nicht. Das tun andere für ihn. Die Diskussion kommt mir vor, als würden sich Leute zu Wort melden, die sagen: „Ich möchte stellvertretend Klage führen für jemanden, den ich zwar nicht kenne, der sich aber Phantomschmerzen einbildet.“ Ich glaube nicht, dass man sich mit solchen Klägern darauf einigen könnte, dass die Verwendung des Wortes „Neger“ einfach nur als „altmodisch“ anzusehen ist, oder als „unzeitgemäß“. Dann wäre die heiße Luft raus. Dann gäbe es keine Empörung, keinen Grund für moralische Vorhaltungen. Alte Ausdrücke zu verwenden, ist schlimmstenfalls peinlich. Mehr nicht. Das darf man. Wenn eine ältere Dame den Schutzmann fragt, wo sie eine Auskunft bekommt, wie sie günstig mit der Eisenbahn nach Karl-Marx-Stadt reisen kann, dann würde man ihr freundlich antworten, dass Karl-Marx-Stadt neuerdings wieder Chemnitz heißt. Keinesfalls würde sie ein Strafmandat bekommen, weil sie „Schutzmann“ statt „Polizist“ gesagt hat, „Auskunft“ statt „Information“ und „Eisenbahn“ statt „ICE“. Falls es sie interessiert, könnte man ihr auch noch erklären, das der Künstler, mit dem geheimnisvollen Namen „The Artist Formerly Known As Prince“ nun wieder „Prince“ und „Raider“ inzwischen „Twix“ heißt.
Aus einem der Kinderlieder wurde, wie ich vernommen habe, in vorauseilendem Gehorsam das Wort „Hottentotten“ herausgenommen. „Hottentotten“ heißen jetzt „Khoi Khoi“. „Neger“ heißt jetzt „Schaum“ – nicht verwechseln mit „Abschaum“, was so ähnlich klingt. Aber warum soll man den Kindern nicht den Spaß an dem wunderbaren, für sie völlig harmlosen Wort „Hottentotten“ lassen? Es ist ein Klassiker der Onomatopoesie, fast so schön wie Titikakasee oder Popocatépetl. Die könnten allerdings als nächstes auf der Abschussliste stehen. Die sind zwar nicht historisch „belastet“, stehen aber unter Sexismus-Verdacht.
Manchmal ändert sich im Laufe der Zeit die Wertschätzung, die mit einem Namen verbunden ist, wie Judith Butler erklärt hat. Manchmal ändert sich der Name, es bleibt aber dieselbe Schokolade. Manchmal ist es umkehrt. Da bleibt der Name, aber wir verbinden neuerdings eine andere Wertschätzung damit. Früher dachte ich, dass die Süddeutsche Zeitung ein anspruchsvolles Blatt ist, in dem intelligente Autoren schreiben.
Ein Schwein ist ein Schwein
Ich gestehe: Ich habe es selber getan, ich habe es nicht nur so dahingesagt, ich habe es geschrieben. In meinem Kinderbuch Das große Buch der kleinen Tiere habe ich das Wort „Neger“ verwendet. Ich habe ihm auch einen Namen gegeben – er heißt Modibou. Den Namen hatte ich von einem Studienfreund aus Mali, wo der Name weit verbreitetet ist.
Modibou ist ein echter Held. Er rettet einen verletzten Storch. Die Geschichten handeln von Missverständnissen zwischen Menschen und Tieren. Die Leser entscheiden selber, wer gut und wer böse ist. Das wird nicht durch Bezeichnungen vorgegeben. Ein Schwein ist nicht schon deshalb schlecht, weil es „Schwein“ heißt. Ein Storch ist ein „Storch“, eine Maus eine „Maus“, und falls Ratten vorgekommen wären, hätte ich sie „Ratten“ genannt und nicht etwa „Rättinnen und Ratten“. Obwohl das gerade angesagt war. Das Buch Die Rättin von Günter Grass erschien in etwa zeitgleich – wir sprechen vom Jahre 1986.
Ich hatte in jener Zeit Kontakt zu Übersetzern – zu Übersetzerinnen, besser gesagt, die großen Wert auf die „weibliche Form“ legten, was so weit ging, dass sie sich bei einer Solidaritätsadresse für Salman Rushdie als Organisation von „Übersetzerinnen und Übersetzern“ auswiesen. Das kam mir schon ziemlich selbstgefällig vor. Was sollte Salman Rushdie davon halten? Spricht der Deutsch? Wie würden Leute, die ihr Geld mit Übersetzungen verdienen, ihre Selbstbezeichnung ins Englische übersetzen? „We are translatresses and translaters“? Wie auch immer. Die Formulierung war nicht verhandelbar. Ich weiß nicht, wie gut diese „Übersetzerinnen und Übersetzer“ organisiert waren und ob sie mehr waren als ein Stammtisch. Sie taten so. Sie führten sich auf, als wären sie nicht nur Übersetzer, sondern Schleusenwärter. Einen gewissen inquisitorischen Ehrgeiz möchte ich denen, die ich näher kennen lernte, nicht abstreiten. Auch nicht die Leidenschaft, andere ins Unrecht setzen zu wollen. Sie einigten sich darauf, in Zukunft das Wort „Neger“ nicht mehr zu verwenden. Es wurde verbannt. Warum, weiß ich nicht. Nur das Wort „Neger-Spiritual“ war gestattet. Man kann nämlich über den Neger sagen, was man will – singen kann er.
Als mein Buch mit den Störchen, Schweinen und Mäusen im Jahre 2000 neu aufgelegt wurde, hieß es: „Neger raus!“ Der Neger wurde gestrichen. Der neue Verlag wollte unnötigen Ärger vermeiden. Dabei hatte es gar keinen gegeben, keine Proteste, keine Beleidigungsklagen, nichts dergleichen – weder von Modibou, noch von anderen Afrikanern oder Deutschen. Es war auch in der Zwischenzeit nichts passiert, dass unser Verhältnis zu den Negern im Allgemeinen belastet hätte. Es war nicht so, dass deutsche Truppen in Kamerun oder Togo gelandet wären, um die Länder heim ins Reich zu führen. Nichts dergleichen. Es gab schon gewisse Einwände gegen das Buch, es wurde beispielsweise beanstandet, dass fast alle Mäuse sterben, weil sie ihre Schwänze (ich nannte es tatsächlich „Schwänze“) in den Schlitz von einem Toaster hängen ließen, und den Toaster anstellten und guckten, wer seinen am längsten drin halten konnte. Der „Neger“ war kein Problem. Er musste trotzdem raus.
Im selben Jahr erschien Auf dem schwarzen Schiff, das ca. 500 Seiten Umfang hat. Da kommt das Wort „Neger“ nicht ein einziges Mal vor. Das ist insofern bemerkenswert, ja geradezu verwunderlich, weil das Buch in Westafrika spielt, weil es darin um die Negritude geht, um Haile Selassie I., der den Titel „neguse negest“ (Neger aller Neger) führt, und um den Fluss Niger, von dem der Neger seinen Namen hat, wie mir Modibou erklärt hat. Im Manuskript war das Wort zwar noch gelegentlich vorgekommen, aber es wurde gestrichen, um, wie es hieß, „Missverständnisse zu vermeiden“. Dem habe ich zugestimmt. Richtig glücklich war ich damit nicht; bisher hatte ich immer gedacht, Missverständnissen sollte man sich nicht beugen, man sollte sie vielmehr ausräumen.
Wer weiß wie es richtig ist, muss draußen bleiben!
Habe ich gerade „man“ geschrieben? Damit kommen wir gleich zum nächsten Missverständnis. Denn dieses kleine Wörtchen soll man auch nicht mehr sagen – oh, ich habe es schon wieder getan. Die evangelische Kirche gibt uns „Handreichungen“ für eine „geschlechtergerechte Sprache“. Da geht es auch um „man“, das neuerdings in Ungnade gefallen ist. Zunächst wird in der Broschüre erklärt, dass es eigentlich unbelastet ist und womöglich von „mana“ kommt, was „die Mutter aller“ heißt und für alle Frauen eine große Freude sein müsste; da es aber identisch klingt wie „Mann“, wird es leicht verwechselt und soll deshalb boykottiert werden. Sie meinen es ernst und schreiben: „Das Wort ‚man’ kann vermieden werden durch Umformulierung in den Passivsatz.“ Da sind sie wieder: die Passivisten! „Es soll also nicht mehr heißen: ‚darüber spricht man nicht’, sondern: ‚darüber braucht nicht gesprochen zu werden’.“
Ich will aber darüber sprechen. Als sich der Rassenwahn der Nazis bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befand, hat man Gottfried Benn eine jüdische Herkunft angedichtet, weil sich sein Name irgendwie so anhört. Man konnte es leicht verwechseln. „Benn“ klingt wie „Ben“. Und „man“ klingt wie „Mann“. Die Säuberungspläne des Sprachfeminismus, denen sich die evangelische Kirche leider Gottes besinnungslos angeschlossen hat, befinden sich in einem ähnlich fortgeschrittenen Stadium. Die Kirchenmänner setzen sich nicht mit der Sache selbst auseinander, sondern mit einer anderen, die nur oberflächlich Ähnlichkeit damit hat. Sie könnten sehr wohl unterscheiden, aber sie tun es nicht. Sie wollen offenbar nicht. Sie stellen sich dumm. Es geht ihnen nicht darum, mögliche Missverständnisse zu meiden oder zu beheben, sondern ein bestehendes Missverständnis beizubehalten und zu verfestigen. Das Missverständnis wird so zur neuen Richtlinie. Wir richten uns nach einem falschen Verständnis von einer Sache.
Das gilt auch für die so genannte Doppelnennung – etwa „Liedermacherinnen und Liedermacher“ –, die in den Leitfäden zur „geschlechtergerechten“ Sprache vorgeschrieben wird. Früher hätte uns ein Lehrer dafür einen halben Fehler gegeben und erklärt, dass in einer Aufzählung nur gleichwertige Elemente gelistet werden und keinesfalls eine Menge, die als Teilmenge in einer anderen enthalten ist, noch mal extra aufgeführt wird; wir sagen nicht „Obst und Äpfel“. Doch ein Unglück kommt selten allein. Es könnte noch ein weiterer Fehler dahinterstecken, nämlich der Verstoß gegen die Regel, dass ein Plural kein Geschlecht hat. Wie sagen wir denn, wenn mehrere Liedermacher in einem Raum sitzen? „Die Liedermacher“ – oder? Bei der vorgeschriebenen Doppelnennung, an die wir uns längst gewöhnt haben, tun wir so, als wären mit „die Liedermacher“ ausschließlich männliche Liedermacher gemeint, und damit verwendet man die Formulierung in einem Sinne, den es vorher niemals hatte. Entweder stimmt da etwas mit der Pluralbildung nicht, oder es stimmt etwas nicht mit der Art und Weise, mit Aufzählungen umzugehen. Wie auch immer: Es ist falsch, und das Falsche wird auch hier zum neuen Richtigen.
Grenzenlose Gefühle
Ganze 219 Mal wurde das Wort „nigger“ bei einer Neuausgabe von Huckleberry Finn durch „Sklave“ ersetzt – ebenfalls nach dem Motto: „Neger raus!“ Mark Twain konnte sich nicht mehr wehren, man nahm ihm nachträglich die künstlerische Freiheit und die Möglichkeit, etwas detailgenau zu dokumentieren, was unter anderem seine besondere literarische Qualität ausmacht. Man verkennt mit dem Eingriff nicht nur den geschichtlichen Zusammenhang, sondern auch die Intention des Autors, der – übrigens im Unterschied zu seiner Mutter – ein entschiedener Gegner der Sklaverei war, was eigentlich ganz im Sinne der Zensoren von heute sein müsste. Egal: Nicht mal die richtige Gesinnung schützt ihn davor, dass in seinem Buch ein Meinungsdelikt festgestellt wird.
Eine schwarze Schülerin hatte geklagt, weil sie sich beleidigt fühlte durch den Ausdruck „nigger“ – nicht etwa, weil das jemand zu ihr gesagt hätte, sondern weil sie das bei Huckleberry Finn gelesen hatte. Hier zeigt sich, wie weit das Persönlichkeitsrecht überdehnt wird: Die langen Finger reichen übergriffig bis in die Literatur und bis in die Geschichte hinein. Ich habe übrigens diese Nigger immer gern gehabt, sie waren bekanntlich auf der Seite von Huck und Tom und haben so nett „Massa“ gesagt; für mich waren sie schlicht die besseren Menschen, auch wenn vielleicht der eine oder andere von ihnen (an den ich mich jetzt nicht erinnere) weniger positiv dargestellt war. Das darf Literatur so machen. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Wogegen allerdings etwas einzuwenden wäre, ist eine Einstellung, bei der man das Negative, das es bestimmt irgendwo gibt, als das Ganze und als das allein Gültige ansieht und zu einem umfassenden Vorurteil verallgemeinert, das in etwa so lautet: „Die sind ja doch alle gleich – und zwar alle gleich schlecht! –, diese Nigger“. Wenn eine Schülerin vor so einer Einstellung Angst hat, kann ich das verstehen. So eine Haltung ist grundfalsch. Aber haben wir die wirklich? Wir alle? Sind wir in dem Punkt tatsächlich alle gleich? Gleich schlecht? Gleich dumm? Ist es nicht vielmehr so, dass die Schülerin selber so eine Haltung einnimmt und diese dann bei anderen vermutet? Und zwar bei allen anderen. Selbst bei toten Dichtern.
Sie selber wird durch ihre Klage zu derjenigen, die annimmt, dass sie ja doch alle gleich sind, diese Nigger, zu denen sie sich hinzugesellt – auch über die Grenzen der Jahrhunderte hinweg, über die Grenzen der Geschlechter, über geographische Grenzen und auch die Grenze zwischen Fakt und Fiktion. Sie zieht sich Schuhe an, die ihr nicht gehören. Man hätte ihr lieber sagen sollen: „Relax, Mädchen, du bist nicht gemeint. Es geht nicht immer nur um dich. Wir können sehr wohl unterscheiden.“ Aber indem man ihr nachgibt, bestätigt man, was sie befürchtet – eine Haltung nämlich, die besagt: „Ja, stimmt eigentlich, diese früher so genannten ‚nigger’ sind alle gleich. Alle. Auch heute noch.“
Hätte ein lebender Zeitgenosse sie persönlich beleidigt, hätte sie darauf reagieren und ihm die Beleidigung irgendwie heimzahlen können. Aber ist sie wirklich beleidigt? Ich glaube ihr, ehrlich gesagt, die Empfindungen, die sie vorgibt zu haben, nicht. Ich soll sie aber nach der „einfachen Höflichkeitsregel“ von Andrian Kreye zur Leitlinie meines Handelns machen. Doch die Empfindungen der schwarzen Schülerin sind nur geborgt, vielleicht sogar geklaut. Ich empfinde das jedenfalls so. Sie sind auf jeden Fall falsch: Sie werden zur falschen Zeit am falschen Ort von der falschen Person geltend gemacht. Dazu wird ein unschuldiger, toter Schriftsteller fälschlich beklagt.
Beim Fußball würde man das eine „Schwalbe“ nennen, und ein Schiedsrichter würde pfeifen und die rote Karte zücken. Da fällt eine Fußballerin im Strafraum hin und windet sich, aber es ist weit und breit kein Gegenspieler in Sicht. Wer hat sie gefoult? Mark Twain? Otfried Preußler? Die innere Leitkultur, die sich nicht ändern will? Wer war es? Hier noch einmal die Frage: Wer ist der aktive Rassist? Muss ich da womöglich selber in die Bresche springen und die Rolle übernehmen, weil sonst keiner da ist, und weil ich diese Zustände kritisiere und damit Opfer verhöhne und ihr Leid bagatellisiere? Bin ich jetzt selber der Rassist?
Zwar kenne ich diese Schülerin nicht und lebe weit entfernt von ihr, aber das dürfte ihr egal sein. Zeit und Raum spielen für sie keine Rolle; ihre Es-ist-doch-eh-alles-eins-Religion ist uferlos, sie ist in der Gegenwart eingerastet und kann (oder will) nicht unterscheiden. Sie kann nicht mal richtig lesen. Oberflächlich gesehen schon. Aber sie versteht nicht die Bedeutung eines Buches und den Wert, den der Erwerb von Lesefähigkeit hat.
Wer war es? Wer hat es getan?
Ermöglicht wurden solche modernen Dramen, die ohne Täter auskommen und uns unglaubwürdige Opfer präsentieren, durch das Wirken von denen, die ich als „Passivisten“ bezeichnet habe. Deren Sichtweise ist so sehr auf die (vermeintlichen) Opfer eingeengt, dass sie kein klares Bild mehr von etwaigen Tätern haben. Das führt zu Falschbeschuldigungen und zu flächendeckenden Vorhaltungen, von denen man nicht genau weiß, gegen wen sie gerichtet sind. Man erkennt die Denkweise an dem gesteigerten Gebrauch des Passivs und dem schlampigen Umgang mit der Frage, wer eigentlich die handelnde Person ist. Wer ist das Agens? Man kann auch in diesem Fall – Vorsicht Verwechslungsgefahr – die Ausdrücke leicht verwechseln: „Passivisten“ klingt wie „Pazifisten“. Aber das täuscht. Passivisten sind Unruhestifter und Kriegstreiber.
Bert Hellinger spricht von „Opferwölfen“. Das passt gut. Die Mutter aller Passivisten war bekanntlich Simone de Beauvoir mit ihrem berühmten Diktum, dass eine Frau „zur Frau gemacht wird“. Von wem? Bei meinem alten Computer erschien einmal der Hinweis: „Sollte das Problem öfter auftauchen, wenden Sie sich an den Hersteller“. Da wusste ich, was ich zu tun hatte. Wohin wenden sich Frauen, wenn sie Probleme haben? An Gott? An ihre Eltern? An die Männer? Wen sehen sie als Hersteller an, wenn sie sich (biologische und metaphysische Fragen ausblendend) ausschließlich als soziales Geschlecht sehen, als – von wem auch immer – „gemachte“ Frauen? Dann wäre der Hersteller die Gesellschaft. Gehören Frauen nicht auch zur Gesellschaft? Haben sie sich womöglich selber gemacht?
Zwar hätte ich es ahnen können, ich hätte aber dennoch nicht gedacht, dass das, was sich einst selbstbewusst „Emanzipation“ nannte, darauf hinausläuft, dass Frauen halsstarrig darauf bestehen, im Passiv-Modus zu reden, und dass sie immer nur als passive Wesen sehen, denen etwas zugefügt wird. Sie sind Opfer. Opfer der Sprache. Opfer der Moden. Opfer der Gesellschaft. Schließlich Opfer der Opfer-Mentalität. Sie sind hilflos ausgeliefert.
Gefangen in den Ketten der geschlechtergerechten Sprache, können sie sich nur wiederholen und nicht weiterentwickeln. Wenn sich Frauen und Männer jemals wieder vertragen und wieder miteinander reden wollten, müsste man als erstes eine Schiedsstelle einrichten, die feministische Texte vom Passiv-Modus in den Aktiv-Modus umschreibt. Wenn man endlich diesen bösen Aktivisten ausfindig machen könnte, der ungerechterweise einer Frau 23 Prozent weniger Lohn für die gleiche Arbeit zahlt wie einem Mann, dann könnte man den zu einer Nachzahlung verdonnern, und alles wäre wieder gut. Aber bisher wurde noch keiner gefunden.
Wer zwingt uns zu unserem Glück?
Zum Schluss noch ein Zitat aus der Süddeutschen von Andrian Kreye – den ich auch zu den Passivisten rechne, für die Opfer so etwas wie schützenswerte Jungfrauen sind und Täter irgendwelche Gespenster, die wichtigtuerische Namen haben:
„ ... im Gegensatz zu den USA und Kanada, zu England und Frankreich, war Deutschland bisher noch nicht gezwungen, eine Konsenskultur zu schaffen.“
Wer war es diesmal? Wer hat die USA, Kanada, England und Frankreich „gezwungen“? Uns aber nicht. War es womöglich der demographische Wandel? Wir haben doch auch einen. Und was sollen wir davon halten? Können wir froh sein, dass wir noch nicht gezwungen wurden? Oder sollen wir uns lieber auch so schnell wie möglich zwingen lassen, damit wir dazugehören? Sollen wir vielleicht demonstrieren gehen mit Parolen wie ZWINGT UNS ENDLICH – WIR BRAUCHEN ES?
Was ist mit „Konsenskultur“, zu der wir erst noch gezwungen werden müssen, gemeint? Ist das etwa eine Kultur, bei der sich alle einig sind – so wie in einem Land, in dem die regierende Partei 96 Prozent der Wählerstimmen erhält? Gehört bei einer Konsenskultur der „Zwang“ mit zum „Konsens“ und sitzt gleichberechtigt mit am runden Tisch? Daran müsste ich mich noch gewöhnen. Für mich widerspricht Zwang der Vorstellung von einem Konsens. Es gibt allerdings Leute, die gerne gezwungen werden. Die mögen das. Noch eine Frage: Wie unterscheidet man eine „Konsenskultur“ von einer „inneren Leitkultur“ und von einer „Monokultur“? Von der ist gleich die Rede.
„Der gesellschaftliche Konsens (gemeint ist unser bisheriger Konsens, der noch nicht gezwungen wurde) basierte auf einer Monokultur, die vielleicht nicht gewollt, aber doch gegeben war. Nun aber wird aus Deutschland immer deutlicher eine kosmopolitische Gesellschaft.“
Hier „will“ schon wieder einer etwas nicht. Wer? Wir wissen es nicht. Aber was derjenige nicht will, wissen wir: eine Monokultur. Die will sowieso keiner. Ich denke da an die LPG zu DDR-Zeiten, ich denke an Maisfelder für Bio-Sprit. Als Beispiel für eine soziale Monokultur fällt mir die Weltfrauenkonferenz ein, bei der Leitlinien für unsere Zukunft ausgebrütet wurden. Da wurden Männer grundsätzlich ausgesperrt, und Frauen, die nicht familienfeindlich eingestellt waren, wurden wenig später auch ausgegrenzt. Das war streng „Mono“ und eher Unkultur als „Kultur“.
Aber wird unsere Kultur, die wir bis vor kurzem hatten, mit dem unbeliebten Wort „Monokultur“ zutreffend beschrieben? Ist es wirklich so, dass Deutschland jetzt erst „immer deutlicher“ eine „kosmopolitische“ Gesellschaft wird? Ich möchte dem widersprechen, will aber Andrian Kreye erst einmal ausreden lassen:
„Mit dem Wandel muss sich Deutschland darüber klar werden, wen es am Leben, an der Macht und am Wohlstand teilhaben lässt. Das aber ist keine Lappalie, sondern definiert die Identität eines Landes.“
So also sieht die politisch korrekte Welt aus: Passivisten „dürfen“, Aktivisten „müssen“. In diesem Fall heißt der Aktivist „Deutschland“. Er muss sich „darüber klar werden, wen es am Leben ... teilhaben lässt“. Oh, weh! Allmächtiger Agens! Wie aufgeblasen ist das denn?! Das klingt ja, als hätte man in Deutschland Vernichtungslager eingeführt, und das gefürchtete Deutschland entscheidet nun selbstherrlich, ob andere „am Leben“ teilhaben dürfen oder nicht! Schwamm drüber. Bleiben wir auf dem Teppich, und bleiben wir bei der Teilhabe an „Macht“ und „Wohlstand“. Darüber kann sich klar geworden werden – um es auch mal „gerecht“ auszudrücken. Aber warum? Besteht da überhaupt, wie Politiker so gerne sagen, Handlungsbedarf? Der Zugang zu Macht und Wohlstand ist doch schon geregelt.
Aber der Wandel. Der Wandel zwingt uns. Oder? Kreye hat uns vorgeführt, dass inzwischen 20 Prozent der Bewohner nicht mehr deutscher Herkunft sind. Irgendwann früher muss der Anteil bei 10 Prozent gelegen haben. Diese 10 Prozent waren unter anderem deswegen nach Deutschland gekommen, weil sie hier eine bessere Teilhabe an Macht und Wohlstand erwarteten als in den Ländern, aus denen sie kamen. Sie wussten jedenfalls, wie hier die Bedingungen sind, nach denen die mögliche Teilhabe geregelt ist. Man nannte sie „Asylanten“, „Flüchtlinge“, „Gastarbeiter“, „Zugereiste“ oder einfach „Ausländer“. Heute heißen sie „Migrantinnen und Migranten“, und sie bringen es – wie gesagt – auf 20 Prozent.
Mit diesem kleinen Rückblick wollte ich die nächste Frage einleiten – und zwar diese: Ab welchem Prozentsatz von Bewohnern nicht deutscher Herkunft muss man sich neu darüber klar werden, wen man an Macht und Wohlstand teilhaben lässt? Ab 10 Prozent? Ab 20? Ab 25? Und ab welchem Prozentsatz muss es dann noch ein weiteres Mal neu überdacht werden? Muss es denn überhaupt?
Denken wir an ein Schiff, nennen wir es MS Deutschland. Es gibt, um im Bild zu bleiben, Machtstrukturen und Aufgabenteilung bei der Besatzung und verschiedene Luxusklassen bei den Passagieren, wie das eben so ist auf Schiffen. Nehmen wir an, der Anteil der Ausländer bei Passagieren und bei der Besatzung läge bei 10 Prozent. Nun erhöht sich im Laufe der Zeit der Ausländeranteil auf 20 Prozent. Muss sich dadurch etwas ändern? Was?
Die Frage bleibt offen. Zurück bleibt ein ekliger Nachgeschmack – wie immer, wenn sich ein Passivist in übler Nachrede ergeht gegen erfundene Aktivisten, die im Wolkenkuckucksheim der Abstraktion herumschwirren. Passivisten neigen dazu, aus der Gießkanne zu beschuldigen, und selber neigen sie zum Masochismus. Passiv ist die Leideform. Passivisten haben es sich in ihrer kommoden Leidkultur – mit „d“ geschrieben, wohlgemerkt – gemütlich gemacht. Daher kommt ihre Aversion gegen eine Leitkultur, sie sich mit „t“ schreibt. Und deshalb liefern sie Zerrbilder von allem, was keinen Opferstatus beanspruchen kann.
Es stimmt nämlich nicht. Wir haben keinesfalls eine „Monokultur“, und „kosmopolitisch“ war schon 1830 der Nachtwächter von Franz von Dingelstedt. Das Programm der Klassik hatte sich um „Weltliteratur“ für den „Weltbürger“ bemüht. Es gab den „Weltgeist“ und leider auch den „Weltschmerz“. Schiller hätte Förderungen durch EU-Gelder für seine Dramen, die im europäischen Ausland spielen, beantragen können, wenn es damals schon die Möglichkeit gegeben hätte. Nur in wenigen kurzen Epochen hatte die deutsche Kultur ein einheitliches Bild abgegeben, das einer Monokultur auch nur entfernt ähnelt. Aber dann stand einer gleichgeschalteten Literatur des Nationalsozialismus eine kritische Exilliteratur gegenüber, und der Einheitskultur der DDR die Vielfalt der Erzeugnisse aus der BRD.
Schon ein flüchtiger Blick in die Hitparaden, die Kinoprogramme, die Besten- oder Bestsellerlisten zeigt uns, dass wir ein kulturelles Import-Land sind (im Unterschied zu Frankreich). Die Hintergrundmusik ist englisch, in der Pizzeria italienisch. Wenn wir Essen auch als Kultur ansehen, müssen wir ehrlicherweise zugeben, dass wir von einem monokulturellen Eintopf weit entfernt sind.
Wir gehen allerdings zunehmend einer Monokultur entgegen: einer gleichgestellten, politisch korrekten, geschlechtergerechten, in die Leideform verliebten Monokultur der Leisetreter, die sich wie ängstliche Kinder beim Zahnarzt nicht trauen, den Mund aufzumachen.
Von wegen: wir werden „immer deutlicher“ eine „kosmopolitische“ Gesellschaft. Im Gegenteil: Wir werden immer provinzieller. Wir verkümmern. Wir machen uns im Ausland lächerlich mit unseren Besonderheiten. Mit unserer Humorlosigkeit und unserer schlechtgelaunten Besserwisserei. Die „geschlechtergerechten“ Sprachvorschriften brechen unserer Muttersprache die Flügel, sie nehmen ihr all die Schönheit, Leichtigkeit und Präzision, die sie bisher hatte. Auch die Kompatibilität. Die Leitfäden machen unsere Sprache zu einem unbedeutenden Dialekt, den man nicht mehr übersetzen kann.
Es kann nicht sein, dass es sich bei dem Affentheater, das wir ständig um die „-innen“-Form machen, um ein Geschlechter-Problem handelt, weil es auch in anderen Sprachräumen Frauen und Männer gibt, die nicht so ein lächerliches Trara daraus machen. Wie heißt eigentlich „Neger“ auf Italienisch? Na? Egal. Das interessiert den selbstgerechten deutschen Depp nicht. Er hält sich für weltläufig und merkt nicht, das er in Wirklichkeit ein Provinz-Ei ist. Das soll eine Beleidigung sein. Es ist kein Tiervergleich. Es ist ein Lebensmittelvergleich.
Wie behindert müssen wir sein, wenn wir nicht mehr wissen, wie man einen Plural bildet, und wie man Aufzählungen richtig hinkriegt? Wie verunsichert müssen wir sein, wenn wir nicht mal wissen, ob wir ein Wort, das wir gestern noch sagen durften, heute immer noch sagen dürfen? Wie gedemütigt und entmündigt müssen wir sein, wenn wir etwas, das wir als falsch empfinden, als richtig anerkennen?
Ich bin auch „immer deutlicher“ geworden – wie Andrian Kreye. Ich halte den Versuch, durch das Auswechseln von Bezeichnungen Gerechtigkeit, moralische Integrität oder faire Teilhabe herzustellen, für einen üblen Schildbürgerstreich von Leuten, die sich einbilden, sie könnten den Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ dadurch gewinnen, dass sie ein neues Ortseingangsschild aufstellen. Wir haben eine neue Sklavensprache. Sie wird uns zunehmend von selbsternannten Fürsprechern von Leuten, deren Sklaverei längst Geschichte ist, aufgenötigt.
Was definiert denn nun die Identität eines Landes? Ich bin da ganz anderer Meinung als Andrian Kreye, wie wir schon ahnten. Was macht das Gefühl aus, eine Heimat zu haben, zu der man dazugehört, und mit der man sich identifizieren kann? Herta Müller sagt: „Heimat ist das, was gesprochen wird. Das bewusste Bekenntnis zur Sprache ist die eigentliche Heimat.“ Ich wiederhole: das bewusste Bekenntnis zur Sprache. Nicht der Versuch, unter dem scheinheiligen Vorwand, „gerecht“ sein zu wollen, die Sprache zu demolieren:
„Neger! Neger! Neger!“
Bernhard Lassahn