Darf man „Neger“ sagen? Oder singen? Diese Frage wurde beim Deutschen Kinderlied-Kongress in Hamburg aufgeworfen, zu dem es schon im Vorfeld einen Kinderliederwettbewerb zum Thema „Toleranz“ gab. Ich sollte dazu auch einen kleinen „Impuls“ geben. Er durfte, wie mir versichert wurde, getrost ein wenig scharf sein – wie Löwensenf, den man dazugibt. Das habe ich gerne getan. Ich hatte mir dazu den Artikel „Dünkel und Empörung“ aus der Süddeutschen Zeitung von Andrian Kreye ausgedruckt und mich, wie Tarzan von Liane zu Liane schwingend, von Zitat zu Zitat durch den Text hindurchgehangelt. Gleich zu Anfang heißt es da:
„Nun könnte man die drei Diskurse (gemeint sind die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse über Antisemitismus, Sexismus und Rassismus) jeden für sich mit einer einfachen Grundregel der Höflichkeit beiseitefegen: Es geht nie darum, wie man Ressentiments definiert, sondern wie sie empfunden werden.“
Sorry: Das ist zu einfach. Die Liane reißt. Die Empfindungen eines anderen, die ich erst erahnen muss, kann ich nicht für mich zum Maßstab machen. Ich kenne doch die Empfindungen nicht. Ich würde, wenn ich mich nach der Kreye-Formel richten wollte, nicht die tatsächlichen Empfindungen des anderen zur Leitlinie meines Verhaltens machen, sondern meine Vorurteile und Mutmaßungen, die ich über seine Empfindungen habe. Ich müsste außerdem glauben, dass es echte und nicht nur behauptete Gefühle sind. Deshalb finde ich die „einfache Grundregel“ einfach nur falsch: Ich kann mich nicht danach richten, weil mir die Empfindungen anderer fremd sind. Und obendrein sollte – und will – ich mich auch nicht danach richten, weil es doch nur „Empfindungen“ sind.